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Internet-Rundbrief 55

Kanada – Wo Wildnis von zwei Outdoorverrückten überfallen wird 

Juli 2015: Der Dreiklang aus Sommerurlaub, kindfrei und Entspannung schwebt vor meinem inneren Auge, während ich die letzten Dinge vor Beginn des längsten Sommerurlaubs meines bisherigen Lebens erledige. Nach Kanada soll es gehen, mit meiner besten Freundin, Zelt und Flugangst im Gepäck. Aufgeregt bin ich, aber auch voller Erwartungen – wie wird es sich wohl anfühlen tausende Kilometer entfernt von zu Hause, ohne den kleinen Kobold, der mich seit sechs Jahren begleitet, ohne ein einziges Buch an Bord?

Rückblickend war es vor allem eines: eindrucksvoll! Megastädte am Lake Ontario, riesige Nationalparks weiter nördlich. Unterwegs auf dem Trans-Canada Highway, der uns – mit Bärenabwehrspray bewaffnet – in die Wildnis brachte. Tag um Tag auf Wanderwegen, Wasserstraßen und Radrouten unterwegs. Nacht für Nacht mit Ohropax und Schlafbrille in unserem Minizelt. Handyempfang: Fehlanzeige. Am Ende freute ich mich wie ein kleines Kind auf ein Bett, meinen Kleiderschrank und Essen, das mit mehr als zwei Töpfen zubereitet werden muss.

Oktober 2015: Jetzt bin ich wieder hier, im Alltag angekommen, vermisse recht oft diese Wildnis, die mich auf eine seltsame Art und Weise geerdet hat. Vermisse die Stille, die Nichterreichbarkeit. Auch die Tütensuppen 😉 Und darum zieht es mich jetzt noch öfter als vorher in den schwarzen Wald, der gleich hinter Karlsruhe beginnt. Tief hinein, da, wo der Handyempfang auch langsam aber sicher problematisch wird. Wo es still wird, wenn nicht gerade die Schwarzwaldhochstraße kreuzt. So wie im Bannwald Zweribach, in dessen Nähe ich letztes Jahr den wunderbarsten und abgeschiedensten Jahreswechsel der letzten Jahre verbracht habe. Und darum freue ich mich auch darauf, diese Wildnis jetzt literarisch erkunden zu können, die beeindruckenden Bilder Wolf Hockenjos’ anzuschauen, die Erinnerungen an hier und dort wecken. Lesen zu können, wie hier Wildnis entsteht, während dort Wildnis touristisch und ökonomisch erschlossen (und zerstört) wird. Ein seltsames Gleichgewicht, das sich mir da gerade offenbart …

 

Nachdenkliche und vorfreudige Grüße

Beatrice Hildebrand

und das Team von Der Kleine Buch Verlag

Wo Wildnis entsteht – Zweribach